Offener Brief an den Bundes- und Regierungsrat: Wettbewerbsneutralität gilt auch im Notrecht

Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Bundesrätinnen und Bundesräte                                                                      

Sehr geehrter Herr Regierungspräsident, sehr geehrte Damen und Herren Regierungsrätinnen und Regierungsräte

Wir haben die am 16. April 2020 vom Bundesrat vorgestellten Pläne zum schrittweisen Ausstieg aus den notrechtlichen Beschränkungen zur Kenntnis genommen.

Wir zollten in den letzten Wochen den Regierungen und Verwaltungen des Bundes und des Kantons Bern viel Lob und Anerkennung für die umsichtige Führung des Landes in dieser ausserordentlich schwierigen Situation und begrüssen die klugen Massnahmen, die zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen dieser grossen Krise eingeleitet wurden. Wir danken an dieser Stelle auch für die gestern beschlossene Ergänzung zur Linderung der negativen Folgen für Selbstständigerwerbende in den vor- und nachgelagerten Wirtschaftszweigen.

Ein Entscheid, den der Bundesrat gestern getroffen hat, passt ganz und gar nicht in dieses Bild einer sorgfältigen und umsichtigen Staatsführung. Das Prinzip der Gleichbehandlung von Gewerbegenossen gilt auch in der Krise. Wer es verletzt, setzt die im Moment so wichtige Solidarität in der Gesellschaft aufs Spiel. Der Bundesrat hat gestern beschlossen, dass Läden, die Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs anbieten, ab 27. April 2020 ohne Sortimentsbeschränkungen alle weiteren Güter auf ihrer Ladenfläche verkaufen dürfen. Gleichzeitig müssen die Geschäfte des Fachhandels, die gleiche Güter anbieten, während weiteren drei Wochen geschlossen bleiben. Diese Unterscheidung ist epidemiologisch nicht zu rechtfertigen und damit willkürlich. Sollte es zur Pandemiebekämpfung nötig sein, den Handel für weitere drei Wochen auf das absolut Notwendige zu beschränken, müssen in dieser Zeit auch die Sortimentsbeschränkungen in den Lebensmittelläden und Grossverteilern aufrechterhalten und durchgesetzt werden. Entscheidet man sich für eine behutsame Öffnung ab dem 27. April 2020, was wir favorisieren, müssen die Mitbewerber gleichbehandelt werden, unter der für alle gleichen Bedingung, dass Mitarbeitende und Kunden geschützt werden und namentlich die Hygiene- und Abstandsvorschriften eingehalten werden.

Genauso wie der Bundesrat, setzen auch die gewerblichen Dachverbände auf eine etappierte Rückkehr zur Normalität. Diese Etappierung muss in Funktion der gesundheitspolitischen Indikatoren erfolgen. Diese Indikatoren entwickeln sich sehr zufriedenstellend.  Der 3-Tages-Durchschnitt der Ansteckungsrate betrug per 16. April 1.5 Prozent pro Tag, die Anzahl Tage bis zur Fallverdopplung 49.3. Diese Indikatoren erlauben eine weitgehende Öffnung der Wirtschaft und Gesellschaft. Dieses Urteil scheint auch der Bundesrat zu teilen, ansonsten würde er den «Betrieben mit personenbezogenen Dienstleistungen mit Körperkontakt» keine Öffnungserlaubnis geben.

Gerade vor diesem Hintergrund, ist der gestrige Entscheid des Bundesrates ein Schlag ins Gesicht des KMU-Detailhandels. Gerade diese KMU haben mit selbst erarbeiteten Plänen gezeigt, wie sie die Öffnung gesundheitspolitisch korrekt umsetzen können. Sie legen dabei grossen Wert auf die Gesundheit der Mitarbeitenden sowie der Kundinnen und Kunden.

Der Gewerbeverband Berner KMU verurteilt die Diskriminierung des Fachhandels auf das Schärfste und fordert den Bundesrat auf, auf seinen Entscheid unverzüglich zurückzukommen. Ab dem 27. April soll es auch dem KMU-Detailhandel erlaubt werden, zu öffnen – selbstverständlich unter Einhaltung der gesundheitspolitischen Vorgaben und der eigenen Branchenpläne. Den Regierungsrat des Kantons Bern fordern wir auf, die Gleichbehandlung der Gewerbegenossen auch beim Vollzug der Vorschriften weiterhin hochzuhalten.

Der gestern in dieser Frage gefasste Entscheid löste unter unseren Mitgliedern sehr grossen Unmut aus. Zorn, Hoffnungslosigkeit und Trauer wechseln sich ab.

Das Vertrauen in Gerechtigkeit ist die Grundlage gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Solidarität. Wir bitten den Bundesrat eindringlich, konsequent auf diesem Pfad zu bleiben und den in einer wichtigen Frage getroffenen Fehlentscheid so rasch als möglich zu korrigieren.

Freundliche Grüsse

Berner KMU

Toni Lenz, Präsident    Christoph Erb, Direktor