Vier Tage nach dem Lockdown hat Bern als einer der ersten Kantone am 20. März ebenfalls das Notrecht ausgerufen. Wirtschaftsdirektor und Regierungspräsident Christoph Amman schaut in unserem Interview auf die turbulenten und schwierigen letzten Wochenzurück. Obwohl er in der Krise für die KMU auch Chancen sieht, geht er davon aus, dass die Schweiz am Anfang der grössten Rezension seit dem 2. Weltkrieg steht.
Christoph Ammann, der Bundesrat hat am 17. April seine Exit-Strategie aus dem Lockdown bekanntgeben, warum trägt der Kanton Bern diese zu 100 Prozent mit? Die Exitstrategie des Bundesrates überzeugt die Berner Regierung vor allem, weil es eine flexible Strategie ist, die auf Eindämmung ausgerichtet ist. Der Virus wird nicht einfach über Nacht wieder verschwinden. Es ist deshalb wichtig, dass der Bundesrat je nach Stand der Infektionszahlen die aus seiner Sicht jeweils sinnvollen Lockerungen erlauben kann.
Die KMU und auch wir haben die Exit-Strategie scharf kritisiert, können Sie die Kritik nachvollziehen?
Ich habe grosses Verständnis, dass viele Branchen nicht nur Freude am Fahrplan haben und hatten. Ich selber habe mich über meine Kanäle gegen die Wettbewerbsverzerrungen und für gleich lange Spiesse zum Beispiel beim Sortiment eingesetzt. Der Bundesrat korrigierte auf Empfehlung der Kantone seinen Entscheid, so dass in einer ersten Phase nicht die Grossen alles verkaufen durften, während die kleinen Läden noch geschlossen waren.
Welches waren die grössten Herausforderungen, die Sie seit dem Lockdown am 16. März im Kanton Bern meistern mussten?
Die ersten Tage waren sehr turbulent und die Herausforderungen enorm. Wir mussten quasi über Nacht Lösungen aus dem Boden stampfen, die mit dem Bund abgestimmt waren. Aus diesem Grund haben wir, gestützt auf Artikel 91 der Kantonsverfassung, mit der Notverordnung eine Rechtsgrundlage eingeführt, die der Berner Regierung ein rasches und flexibles Handeln bei den Spitälern und der Wirtschaft erlaubte.
Gibt es eine Entscheidung, die Ihnen besonders schwergefallen ist?
Als Exekutive hebelt man nicht leichtfertig das Parlament und die demokratischen Prozesse aus. In der Nacht, bevor die Berner Regierung nachher das Notrecht beschlossen hat, habe ich nicht besonders gut geschlafen.
Andere Kantone – wie zum Beispiel Zürich – haben eigene Hilfspakete im grossen Stil aufgefahren, warum der Kanton Bern nicht? Der Kanton Bern hat als einer der ersten Kantone das Notrecht eingeführt und seine Massnahmen von Tag zu Tag ergänzend auf den Bund abgestimmt. Unsere Massnahmen sind austariert und bewähren sich im Vollzug. Wir konzentrieren uns im Kanton Bern auf folgende ergänzenden Schlüsselmassnahmen in der Höhe von 35 Millionen Franken: 30 Millionen Franken wurden freigegeben, damit KMU ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeiten weiterführen können. Damit versprechen wir uns nach der Krise einen Wettbewerbsvorteil in der Technologie- und Industriebranche. Fünf Millionen Franken fliessen in die Tourismusbranche, damit die wegfallenden Beherbergungsabgaben kompensiert werden können. Dann haben wir für alle Unternehmen eine Stundung der kantonalen Gebühren und Abgaben eingerichtet, um deren Liquidität verbessern zu können.
Auf welche wirtschaftlichen Corona-Massnahmen konzentriert sich der Kanton Bern jetzt und längerfristig?
Kurzfristig war die Erhaltung der Liquidität die wichtigste Massnahme. Zudem galt es, die Kurzarbeit so einzurichten, dass möglichst viele KMU diese möglichst rasch beanspruchen können: Im Kanton Bern haben mehr als 15’000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, gegen 200’000 Mitarbeitende waren betroffen. Das ist ein Mengengerüst, wie es der Kanton Bern vorher noch nie erlebt hat und ich bin sehr froh, dass wir Stand heute alle Gesuche abgearbeitet und einen Teil der Beträge bereits ausbezahlt haben. Um längerfristige Massnahmen zu bestimmen, ist es noch zu früh. Hier müssen wir abwarten, in welchen Etappen die Lockerungen weitergehen, wie sich die einzelnen Branchen entwickeln, wie die Wirtschaft wieder anläuft und welche weiteren Massnahmen des Staates dann auch möglich und sinnvoll sind.
Wo und wie werden Sie den KMU konkret unter die Arme greifen?
Es gibt irgendwann auch Grenzen der staatlichen Interventionen auf Kantonsebene. Ich bin überzeugt, dass wir die wichtigsten und wirkungsvollsten Instrumente eingerichtet haben. Der Kanton Bern kann allenfalls bei den Rahmenbedingungen noch weitere Anpassungen machen: Stichwort Stundung der Gebühren oder als Liegenschaftsbesitzer bei den Mieten noch weiter an der Schraube drehen.
Was ist der aktuelle Stand der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie im Kanton Bern?
Jede und jeder dritte Arbeitnehmende im Kanton Bern ist im Moment in der Kurzarbeit; diese Zahl sagt alles. Es sind natürlich nicht alle Branchen gleich betroffen: Die schwierigsten Situation gibt es im Tourismus, bei der Gastronomie und den Eventveranstaltern. Aber auch die kleineren Detailhändler und wertschöpfungsstarke Branchen wie z. B. die Uhrenindustrie sind stark betroffen. Ich gehe davon aus, dass wir am Anfang einer der grössten Rezessionen der Nachkriegsgeschichte stehen.
Ist das auch Ihre grösste Sorge?
Ja, das ist meine grösste Sorge. Ich teile den Optimismus gewisser Analysten nicht, die eine rasche Vollentwicklung voraussagen, und wenn, dann wird sie nicht für alle Branchen gelten. Die Entwicklung wird auch davon abhängig sein, ob es eine zweite Pandemiewelle geben wird. Ich hoffe inständig, dass wir diese verhindern können, denn das wäre für die Wirtschaft fatal. Was die Corona-Krise den Kanton Bern kosten wird, kann im Moment aber noch niemand sagen.
Der Kanton Bern gehörte schon vorher nicht zu den attraktivsten Wirtschaftsstandorten – Stichwort Steuerbelastung. Gibt es eine Strategie, diese Position endlich zu verbessern?
Die Strategie besteht – und diese wird unabhängig von der Corona-Krise weitergeführt. Die Regierung hat sich mit den Legislaturzielen und dem Engagement 2030 klare Leitplanken gesetzt. Wir wollen die Ressourcenstärke vergrössern – da sind wir auf einem guten Weg – und damit weniger abhängig von Beiträgen aus dem Finanzausgleich werden. Zudem setzen wir Schwerpunkte bei der Steigerung des Innovations- und Medizinalstandortes Kanton Bern. Neben der etappenweise geplanten Senkung der Gewinnsteuern für Unternehmen gibt es verschiedene weitere Faktoren, welche als Summe die Attraktivität eines Wirtschaftsstandortes ausmachen.
Sehen Sie in der ganzen Krise auch eine Chance für den Kanton Bern und die KMU insbesondere?
Ich sehe die Krise als grosse Chance, dass die Digitalisierung effizient vorangetrieben wird. Die letzten Wochen haben uns die Möglichkeiten und das Potential ja deutlich aufgezeigt. Zudem – auch wenn es auf den ersten Blick ein bisschen zynisch erscheinen mag – kommen gerade KMU aus Krisen oft gestärkt heraus, das haben verschiedene Beispiele im Kanton Bern deutlich aufgezeigt. Unter Druck können und müssen neue Erkenntnisse gewonnen und umgesetzt werden, welche den Unternehmen in Zukunft einen Wettbewerbsvorteil bringen können. Das zeigen auch Signale aus einzelnen Branchen, wie z. B. bei den Floristen, welche trotz Ladenschliessungen teilweise beachtliche Umsätze generieren konnten, weil sie schnell und innovativ reagiert haben. Last but not least bin ich überzeugt, dass die Wertigkeit der lokalen Produkte und des lokalen Gewerbes wieder mehr geschätzt wird.