Während des Lockdowns von Mitte März bis am 11. Mai beschäftigte – neben den behördlich angeordneten Schliessungen – v.a. die Diskussion um die Sortimentsbeschränkung die Gemüter des lokalen Gewerbes. Berner KMU Direktor Christoph Erb mit einer ersten KMU-Corona-Bilanz und einem Ausblick.
Christoph Erb, wie haben Sie als Berner KMU Direktor die Zeit seit dem Lockdown erlebt?
Erinnern Sie sich, wie es war, als Sie zum ersten Mal bei der Begrüssung einer vertrauten Person auf den Händedruck verzichteten? Sehr komisch, oder? Inzwischen ist es selbstverständlich, physisch Abstand zu halten. Was lange undenkbar war, ist plötzlich da. Verrückt.
Was waren unmittelbar nach dem 16. März die wichtigsten Anliegen der Mitglieder?
Ich schicke voraus: Es bestand am Anfang sehr viel Verständnis für die Massnahmen des Bundesrats, auch bei Direktbetroffenen, die ab sofort schliessen mussten. Mit dem ersten Tag begann die Diskussion um Sortimentsbeschränkungen. Kleine Lebensmittelläden beklagten sich, dass die Polizei bei ihnen die Artikel absperrte, die nicht zum täglichen Bedarf gehören. Umso grösser die Empörung, dass in Grossverteilern nicht gleich rigid eingeschritten wird.
Wo hat sich der Gewerbeverband Berner KMU aktiv eingebracht und was konnte er erreichen?
Viele Anfragen drehten sich darum, wie lange die Versammlungsverbote dauern würden, wie die Verkaufsverbote anzuwenden sind, was Lebensmittelläden zu beachten haben etc. Unser Sekretariat konnte vielen Ratsuchenden helfen. Die Ideen, wie sich das Gewerbe selbst helfen kann, bündelten wir auf der gemeinsam mit anderen Partnern geschaffenen Plattform www.FokusCorona.ch. Das absolut wichtigste Thema ist, wie die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abgefedert werden können, nicht dass es reihenweise zu Konkursen kommt. Sehr rasch war klar, dass die Krise Zulieferer von geschlossenen Betrieben ebenso hart trifft, wie diese selbst.
Das Corona-Hilfspaket des Bundesrates wird von allen Seiten als positiv bewertet; wo sind in ihren Augen die Stärken und die Schwächen?
Das Paket baut auf den drei bewährten Instrumenten Kurzarbeitsentschädigung, Erwerbsersatzordnung und Bürgschaftswesen auf. Das ist stark. Innert kurzer Zeit wurden diese erweitert und den besonderen Herausforderungen angepasst. Die Einkommen von Erwerbstätigen sind innerhalb eines bestimmten Rahmens gesichert, die Löhne von Angestellten und die Einkommen der Chefs und Selbständigerwerbenden. Mit den vom Bund garantierten Covid-Krediten der Banken ist die Liquidität der Betriebe gesichert. Das ist zentral. Liquidität ist zu vergleichen mit der Luft, die der Mensch zum Atmen braucht. Nach drei Minuten ohne ist Schluss. Das System zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen ist so einfach wie möglich. Das ist seine Stärke, gleichzeitig eine Schwäche. Etliche fallen durch die Maschen, andere können es missbrauchen.
Wo hat sich Berner KMU konkret für Verbesserungen eingesetzt?
Erstens haben wir uns bei der Sicherung der Erwerbseinkommen für die Gleichbehandlung der Betriebsinhaber und Selbständigerwerbenden eingesetzt. Zweitens musste auch den sogenannt indirekt betroffenen, also den Betrieben in den vor- und nachgelagerten Bereichen der zwangsweise geschlossenen Geschäfte, geholfen werden. Drittens gilt die Gleichbehandlung von Gewerbegenossen auch unter Notrecht. Dürfen keine Kleider und Schuhe verkauft werden, gilt das während der ganzen Zeit für Grosse und Kleine. Viele Regionen und Gewerbeverbände haben sich lokal organisiert und Plattformen geschaffen, warum hat Berner KMU keine kantonale Plattform ins Leben gerufen? Weil viel von uns gesprochen wird und wir auch enorm rasch Vieles bewirken können, vergisst man gerne, dass unsere Hauptaufgabe darin besteht, die Interessen unserer Mitglieder zu wahren. Unsere Ressourcen sind beschränkt und wir konzentrieren sie auf unsere Kernkompetenzen. Für die Beratung der Betriebe gibt es einen Wettbewerb mit vielfältigen Angeboten.
Berner KMU hat die Exit-Strategie des Bundesrates vom 17. April scharf kritisiert, warum?
Wir unterstützen den vom Schweizerischen Gewerbeverband unter der Bezeichnung «Smart Restart» vorgeschlagenen Weg aus der Corona-Krise zurück in wieder etwas normalere Verhältnisse. Die Hygiene- und Abstandsregeln werden uns wahrscheinlich noch längere Zeit begleiten. Wer sie für Mitarbeitende und Kunden einhalten kann, soll nicht weiter daran gehindert werden, seine Waren und Dienstleistungen zu verkaufen. Gesundheits- und Wirtschaftspolitik müssen Hand in Hand gehen. Nach fünf Wochen Lockdown wurde es Zeit, auf einen gezielten Schutz und eine an die epidemiologische Lage angepasste Lockerung von Verboten und Vorschriften umzuschwenken.
Welche Erfolge konnte Berner KMU hier verzeichnen?
Wir haben nicht verstanden, weshalb der Bundesrat ab dem 27. April 2020 nicht allen Läden erlauben wollte, wieder zu öffnen. Gegen die Idee, den Grossverteilern die Sortimentsbeschränkungen zu lockern, bevor die Fachgeschäfte öffnen dürfen, haben wir uns mit Erfolg gewehrt.
Andere Kantone – wie zum Beispiel Zürich – haben eigene Hilfspakete im grossen Stil aufgefahren, finden Sie es richtig, dass der Kanton Bern dies nicht tut?
Die Krise ist eine internationale, die primäre Handlungsebene ist der Bund. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat uns unterstützt, die bewährten Instrumente der Kurzarbeitsentschädigung, der Erwerbsersatzordnung und des Bürgschaftswesens auf die besonderen Herausforderungen abzustimmen. Punktuell ergänzt der Kanton Bern die Massnahmen des Bundes, insbesondere bei der Sicherstellung der Gesundheitsversorgung und der Hilfe an Startups und Kulturschaffende.
Seit dem 11. Mai dürfen alle Geschäfte und auch die Restaurants – unter strengen Vorlagen und mit Schutzkonzepten – wieder offen haben.
Was ist Ihre Bilanz?In den ersten vierzehn Tagen nach dieser wichtigen Lockerung bestätigte sich, dass der Fachhandel gut in der Lage ist, die Hygiene- und Abstandsregeln genau so gut einzuhalten wie Lebensmittelgeschäfte und Grossverteiler. Unsere vehemente Forderung nach Gleichbehandlung von Gewerbegenossen hätte früher erfüllt werden können.
Wo liegen in ihren Augen die grössten Probleme?
Die Exportwirtschaft und der Tourismus leiden stärker unter der Krise als die Binnenwirtschaft. Das wird allen weh tun, weil jeder zweite Franken im Ausland verdient wird. Stärker als die Kosten für die Massnahmen und die betrieblichen Erschwerungen fallen die Anzeichen einer schweren Rezession ins Gewicht. In Tourismusgebieten wird das Ausbleiben von ausländischen Gästen zu Umsatzrückgängen führen.
Was kann Berner KMU konkret tun?
Zunächst geht es darum, der Wirtschaft zu ermöglichen, unter Einhaltung eines hohen Schutzes von Mitarbeitenden und Kunden zum Normalbetrieb zurückzufinden. Zusammen mit dem sgv setzen wir uns für den Abbau unnötiger Hindernisse ein. Zweitens darf es keinen zweiten Lockdown geben. Deshalb braucht es Augenmass. Drittens: In der Krise hat sich gezeigt, wie wichtig aber auch wie verletzlich die KMU sind. Wenn die Pandemie einmal definitiv hinter uns liegt, müssen wir diese breite Akzeptanz in der Bevölkerung für eine KMU-freundlichere Politik ausnützen.
Was macht Ihnen die grössten Sorgen in den nächsten Wochen?
Wann und wie geht die Fussballmeisterschaft weiter? Wird YB dieses Jahr doch noch Schweizermeister? Ernsthaft: Die wichtigste Nebensache der Welt ist nur ein Beispiel dafür, was im Moment alles leidet. Zentral ist, dass es zu keiner zweiten Welle mit nochmaligen drastischen Eingriffen in die Wirtschaft kommt. Deshalb ist es wichtig, die Hygiene- und Abstandregeln strikt einzuhalten.
Sehen Sie in der ganzen Krise auch eine Chance für die KMU im Kanton Bern?
Die Gesellschaft hat den Wert der KMU erkannt. Die KMU gehören zu uns, ohne sie funktioniert unser Land auf Dauer nicht, ohne sie gibt es keine stabile Wirtschaft. Ich hoffe, diese Erkenntnis geht nicht so schnell wieder vergessen.Die Betriebe zeigen, dass sie flexibel und innovativ sind. Die Krise hat jedem einzelnen Geschäft die Schwächen offenbart. Ich bin überzeugt, dass diese behoben werden, beispielsweise durch einen Digitalisierungsschub. Die modernen Technologien werden den persönlichen Kontakt nicht verdrängen, aber sinnvoll ergänzen.