Eigentlich hätten am 12. Oktober in Shanghai die Berufsweltmeisterschaften starten sollen; Betonung auf eigentlich: Aufgrund der Corona-Pandemie hat die chinesische Metropole die WorldSkills Mitte Mai kurzfristig abgesagt. Die Enttäuschung beim Schweizer Team – darunter zwölf Berner Berufs-Champions – war riesig und lange war nicht klar, ob und wie die WorldSkills 2022 überhaupt stattfinden werden.
Die Erleichterung steht Fabian Leuenberger förmlich ins Gesicht geschrieben. Der 20-jährige Polymechaniker aus dem Oberaargau hat nach dem Gewinn der Goldmedaille an den SwissSkills 2020 sein ganzes Leben auf die WorldSkills 2022 in Shanghai ausgerichtet. „Ich habe das Militär verschoben, meine Weiterbildung entsprechend geplant und auch den Einstieg in die Firma meines Vaters (Awero AG), die ich dann später einmal übernehmen möchte.“ Nachdem bereits die SwissSkills 2020 wegen der Corona-Pandemie nicht zentral in Bern durchgeführt werden konnten, war die Vorfreude mit dem ganzen Schweizer Team gemeinsam nach Shanghai zu reisen umso grösser.
„Nach der Absage Mitte Mai bin ich zuerst schon ein bisschen in ein Loch gefallen und ich hatte Mühe, mich trotzdem noch für das Training motivieren zu können. Irgendwie habe ich aber trotzdem immer an eine Lösung geglaubt und gehofft, dass auch für uns Polymechaniker ein Ersatzort gefunden wird.“
Gefunden wurde dieser Ort im deutschen Leonberg, wo sich vom 10. bis 15. Oktober die weltweit besten jungen Polymechaniker in den beiden Disziplinen CNC-Drehen und CNC-Fräsen messen werden. Insgesamt finden die WorldSkills als Special Edition 2022 nun in 15 verschiedenen Ländern statt.
„Natürlich ist die Vorfreude jetzt wieder zurück, unser Fokus gilt ja in erster Linie dem Wettkampf, gleichzeitig bleibt aber auch ein kleiner Wermutstropfen. Es sind in den vergangenen Monaten in den Teamweekends viele Freundschaften über die Berufe und Regionen hinaus entstanden und ich wäre sehr gerne mit meinem Zimmerkollegen und dem ganzen Schweizer Team nach Shanghai gereist.“
Bis auf die schweren Maschinen nimmt Fabian Leuenberger die Werkzeuge für den Wettkampf in Leonberg selber mit. Ein Grossteil davon wird vom Verband Swissmechanic oder Sponsoren zur Verfügung gestellt. „Der Werkzeug-Trolley ist meine mobile Hightech-Werkstatt und mein ganzer Stolz. Ich habe sehr viel Zeit dafür aufgewendet, dass für den Wettkampf dann alles perfekt ist. Ich bin jetzt schon ein bisschen traurig, wenn ich ihn Ende Oktober dann wieder an Swissmechanic, für den nächsten Kandidaten, zurückgeben muss.“
Bis zum Wettkampfbeginn am 10. Oktober steckt Fabian Leuenberger einen Teil seiner Arbeitszeit und fast die gesamte Freizeit in die zahlreichen und intensiven Trainingseinheiten. „Ohne meinen Arbeitgeber, die DUAP AG, wäre dies finanziell gar nicht möglich für mich. Zudem ist es auch sehr motivierend, dass die Vorgesetzten und das gesamte Unternehmen hinter einem stehen und das Projekt WorldSkills und auch schon die SwissSkills aktiv mitunterstützen.“
So ist es denn auch kein Wunder, dass Fabian Leuenberger Mitte Juli beim Training bei den Zentralbahnen in Meiringen – hier steht eine exakt gleiche Maschine wie in Leonberg beim Wettkampf – der Ehrgeiz wieder definitiv gepackt hat. „Das Training läuft gut, aber heute Morgen war ich mit dem produzierten Teil noch nicht ganz zufrieden. Mein Ziel ist es, in Leonberg möglichst hundert Prozentpunkte zu erreichen und deshalb bis dahin 100% zu trainieren, damit ich dann am Wettkampf 110% geben kann. Ich bin überzeugt, dass ich – dank unserem dualen Berufsbildungssystem – flexibler bin als Teilnehmer aus anderen Ländern, die sich im Vorfeld jahrelang auf die Bedingungen in Shanghai vorbereitet haben. So gesehen sind die dezentralen WorldSkills vielleicht sogar ein Vorteil für das ganze Schweizer Team».